on 08 September 2000

Neue Namen, Junge Bekannte

Kaum jemand, der sich ein wenig in musikalisch-organisatorischen Dingen, vor allem aber im neuen Russland ein wenig auskennt, gab der Pianistin Irina Nikitina vor fuenf Jahren grosse Chancen, ihr Festival "Musical Olympus" mehrere Jahre hin am Leben zu halten. Ihre Idee ueberzeugte damals wie in etwas modifizierter Form-heute: Preistraeger aus aller Welt nach St. Petersburg zu laden, wo sie in familiaerer Umgebung Konzerte geben, Zeit haben, einander kennenzulernen - und dies in Nachbarschaft zu Vertretern der Presse und unter Umstaenden auch auf Tuchfuehlung zum Musikmanagement.

Die Konzerte - damals wie auch jetzt bei der fuenften Auflage - wurden als Eigenproduktionen des Festivals, aber auch in Zusammenarbeit mit den etablierten Veranstaltern angeboten. Jeder der jungen, aufstrebenden Gaeste wusste zwar, dass es in Russland nichts zu verdienen gibt, doch ein Konzert mit einem der St. Petersburger Orchester in traditionsreichen Staetten wie den beiden Saelen der Philharmonie, dazu das Erleben einer Stadt von naechtlich leuchtender Schoenheit - dies alles mochte jedem der Gaeste das alte, unvergaengliche Russland naehergebracht haben.

"Musical Olympus" ueberschneidet sich mit den traditionellen "Weissen Naechten", die inzwischen unter der raehrigen Leitung von Valery Gergiev stehen, aber die beiden Instutitionen bekaempfen sich nicht - im Gegenteil hat Gergiev das neugegruendete, aeuЯerst faehige Jugendorchester des Mariinsky-Theaters fuer ein Musical Olympus-Konzert "freigegeben" (Motto: "Musical Olympus and Stars of White Nights").

Modifiziert ist die Preistraeger-Revue insofern, als Irina Nikitina auch solche Interpreten wieder einlaedt, die bei Publikum und Orchestermusikern besonders gut Angekommen sind, so den amerikanischen Dirigenten Dorian Wilson, der mittlerweile GMD in Greifswald, und Auf dem Sprung in die erste Etage internationaler Dirigenten ist. Eine Wiederbegegnung gab es sich mit dem Geiger Nikolai Znaider: Mit den St. Petersburger Philharmonikern unter ihrem Chefdirigenten Yuri Temirkanov interpretierte der Bruessel-Sieger das Sibelius-Konzert mit sehniger, aller Herbheit aufgeschlossener Selbstgewissheit. Beethovens Siebente gibt Temirkanov in weichen Linien, vergleichsweise gutmuetig im thematischen Biss und im rhythmischen Impuls. Beethoveen erfaehrt man hier aus der Tschaikowsky-Perspektive, ungetruebt, bzw. unerhellt von allen autfuehrungspraktischen Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte.

Von den jungen Novizen des Festivals ist mir besonders der italienische Hornist Alessio Allegrini in Erinnerung geblieben (Zweiter des Mьnchner ARD-Wettbewerbs 1999), Mit dem Es-Dur-Konzert von Richard Strauss zeigte er ein so farbenreiches, reaktionsschnelles, im naechsten Moment schon wieder kammermusikalisch einfuegsames Spiel, dass man bei etwas fortgeschrittener Vortragsdauer den Eindruck gewann, die Symphoniker unter Algirdas Paulavitchus koennten sich mit den Straussichen Delikatschwelgereien doch noch ins Einvernehmen setzen. Dem Vernehmen nach soll es sich um eine Ersauffuehrung gehandelt haben. Zuvor hatte der japanische Pianist Masaru Okada (Sieger des Liszt-Wettbewerbs von Utrecht 1999) das Es-Dur-Konzert, von Liszt mit sicherer Technik, ueberraschend frei, also ganz und gar nicht "japanisch" vorgetragen. Im Anschluss an Allegrini machte der 20jaehrige, in Koeln bei Zakhar Bron studierende Mikhail Ovrutsky mit dem Ersten Violinkonzert von Schostakowitsch ordentliche Figur. Der auf dem Podium etwas beilaeufig wirkende Sieger des Sarasate-Wettbewerb von Pamplona machte dann den Fehler, Schuberts Erlkoenig in der horrend schwierigen Solofassung von Ernst als Zugabe zu riskieren.

Besonders vielversprechend fiel das "Musical Olympus"-Debuet des erwaehnten Mariinsky-Jugendorchesters aus. Als begleitendes Kollektiv, spaeter aleinverantwortlich fuer Schuberts Fuenfte unter der Leitung des kundigen, sehr aufmerksamen und befeuernden Italieners Gianandrea Noseda wirken sie angesteckt und nicht nur fuer diese oder jene Aufga-be nominiert. Erstaunlicher, dass die "Musical Olympus"-Direktion zu Beginn des Festivals auch noch einen Ball "In Erinnerung an Johann Strauss" zustande brachte. Gesellschaftliche Ereignisse dieser Art mag man unter diesen Bedingungen etwas misstrauisch beaeugen, aber zweifellos sind sie auch dem Ueberlebenswillen einer Kulturmetropole dienlich, die sich wie das gesamte Land in einer gewaltigen Identitaetskrise befindet.

 

Author: Peter Cosse  Edition: Oesterreichische Musikzeitschrift  Date: 08.09.2000