on 15 June 2002

Musical Olympus in St. Petersburg

Der Olymp ist gewissermassen ihr Markenzeichen, auch wenn sich ihr heiliger Berg ausnahmsweise im Flachland an der Newa findet. In St. Petersburg hat Irina Nikitina, vor sieben Jahren nun schon, den "Olympus Musicus" begrьndet, der zehn Tage lang alljaehrlich einige der hervorstechendsten musikalischen Wettbewerbssieger aus aller Welt vereint, und nun wurde Irina in Moskau mit einem anderen "Olympus" als "Frau des Jahres 2001 fьr Kunst und Kultur" ausgezeichnet: dem ersten Nationalpreis des Landes, den es russischen Frauen auszuloben gelang. Preisverleihungen waren bislang ausschliesslich Mдnnersache.

Irina Nikitina ist eine Frau wie geschaffen, sich in sie zu verlieben. Sie ist Musikerin bis in die Pianistinnen-Fingerspitzen, die alle Welt zu kuessen nun nicht mehr muede wird. Sie gibt sich mit Eleganz, Sachverstand und Charme als empfindsame Animatorin der musikalischen Zukunft. Sie pickt mit sicherer Hand das Vielversprechendste heraus, was der Weltmarkt an frischen Talenten auf welchen Instrumenten auch immer zu bieten hat: ob auf der Violine der musikalisch standfesten Lettin Baiba Skride (sie spielte den Violin-Zyklus von Vivaldis "Vier Jahreszeiten") oder auf der Posaune von Joergen van Rijen, Solist des Koeniglichen Amsterdamer Concertgebouw-Orchesters, der das Posaunenkonzert von Nino Rota bei aller interpretatorischen Verve mit Staunen erregender Intonationsreinheit zu blasen verstand.

Denn das ist schliesslich das Problem aller Wettbewerbe, die inzwischen - off-Theater der Musik, allerdings strikt paedagogischen Charakters - beinahe wie Pilze allueberall aus dem ringsum ueberaus fruchtbaren Boden schiessen: Wohin mit den von ihnen ausgegrabenen und emsig gefoerderten Talenten? Sie benoetigen dringend Konzertpodien, sich vor aller Augen und Ohren zu vervollkommnen, an ihrer Kunst weiter zu arbeiten.

Auffallend aber auch und beaengstigend dazu: kein einziger deutscher Musiker, keine einzige deutsche Instrumentalistin qualifizierte sich fьr Auftritte beim Petersburger "Olympus". Droht vielleicht eine Schlappe a la Pisa auch fuer die deutschen Musikstudenten herauf? Man wird, um ein weiteres Fiasko rechtzeitig abwenden zu koennen, vielleicht rings im Land kritischer noch als zuvor Augen und Ohren aufsperren muessen.

Immerhin aber hat die Ukrainerin Natalia Kovalyova, grossaeugig- kaprizioeses sopranistisches Gegenspiel zur grosartigen Cecilia Bartoli, zwar vielerorts, aber auch in Deutschland ihre Ausbildung erfolgreich vorangetrieben. Sie hat zeitweilig in Dresden studiert, unter anderen bei Peter Schreier. Sie hat in Coburg, im ruhmreichen Abseits des Musikbetriebs, den Alexander-Girardi-Gesangswettbewerb gewonnen. Die Deutsche Oper am Rhein in Duesseldorf hat aufgemerkt und sie sofort engagiert. Jetzt ist kein Zweifel mehr, dass Natalia mit ihrem bezaubernden Wesen und ihrer geschliffenen Singkunst alsbald in die Weltkarriere einscheren wird.

Um die bemuehen sich in St. Petersburg aber nicht nur die Saengerinnen. Unter dem tatkraeftigen Amerikaner Dorian Wilson an der Spitze des St.Petersburger Sinfonieorchesters, einem glaenzenden Dirigenten voller Zielstrebigkeit und geschmeidiger Autoritaet erspielte sich der Russe Evgeny Mikhailov mit Rachmaninows Paganini-Rhapsodie geradezu einen Weltrekord an Virtuositaet. Die junge Franzoesin Sol Gabetta spielte die einst Rostropowitsch zugedachte Sinfonie conzertante fuer Cello und Orchester von Prokofieff wie eine kundige Uebersetzung der dem Stueck eingeborenen Virilitaet ins mitreissend Feminine.

Ueberraschungen am laufenden Musik-Band: Marcin Dylla aus Polen erwies sich als ein wundersam weichfingriger Gitarrist. Die Zwillingsbrueder Mischa und Sascha Manz (21) explodierten spiellustig in das geradezu
vergnuegungssuechtige Konzert fuer zwei Klaviere von Francis Poulenc hinein. Alexander Sladkovsky fuehrte sie am Pult sorgfaeltig die blitzenden erzfranzoesischen Bahnen. Und noch einmal Engelsgesang, diesmal aus norwegischer Sopranistinnen-Kehle: Marita Kvarving Solberg zeigte sich bei Mozart wie beim leichtstimmig grazioesen Verdi
mit anruehrender Finesse zuhaus.

Author: Klaus Geitel   Date: 15.06.2002