on 23 June 2002

Viele Wege fuehren zum Ruhm

DAS MUSIKFESTIVAL "MUSICAL OLYMPUS" IN ST. PETERSBURG

Die Idee, Preistraeger der grossen Musikwettbewerbe in eigenen Konzertreihen auftreten zu lassen, ist nicht neu; kaum je aber wird sie in dieser Konsequenz und Weite realisiert wie in dem heuer zum siebten Mal durchgefuehrten Internationalen Festival "Musical Olympus" in St. Petersburg.

Die Aura der Stadt und ihr Wert fuer das Curriculum der kuenftigen Weltstars und derer, die es zu werden versucht haben, ist fuer das Unternehmen ebenso hilfreich wie die Spielstaetten: Der grosse Saal der Philharmonie, das reizvolle Privattheater in der Eremitage und der jetzt in seiner vollstaendig restaurierten Pracht wiedererstandene Peterhof, in dem zum ersten Mal der ins Festival integrierte "Strauss Ball" stattfand, mit einer Alluere und einem Zauber, die an die spaetbarocken Feste erinnern - und an die Tatsache, dass Johann Strauss hier dem Zaren ueber Jahre den Sommeraufenthalt verklaert hatte.

Man mag, wie es manchen der ergrauten Prominenzen geschah, die Verwunderung teilen, dass der lange Gang durch die Institutionen hier endet, aber man kann sich weder der Faszination der hoefischen Feste als Gesamtkunstwerk entziehen noch der Konsequenz, dass die von ihr angelockten "Spitzen der Gesellschaft" es sind, die die jungen Talente in ihrer aeusseren Karriere wirklich zu foerdern vermoegen. Glanz und Elend, jedenfalls Fragwuerdigkeit von Musikwettbewerben werden exemplarisch vorgefuehrt. Bei manchen Siegerinnen und Siegern fragt man sich tatsaechlich, welche krause Laune des Schicksals sie aufs Podest geworfen hat, andere wiederum lassen das Vorurteil, es gewaennen ja lediglich die Robusten und Unbedarften, mit bezwingender Autoritaet obsolet werden.

Noch nicht befriedigend geloest ist die Frage der "Begleitung", die nicht selten wirklich nur, und oft nicht einmal standesgemaesse, Begleitung ist und so die Entfaltung manchen Talentes behinderte, in wenigen Faellen sogar verunmoeglichte. Daran moegen die anbrechenden "Weissen Naechte" Mitschuld tragen: Wer will, wenn nach endlosen Wintern die Sonne in den abendlichen Konzertsaal bricht, sich ganz in die Kunst versenken? Vielleicht sollte auch ueberdacht werden, ob die Leitung dieser Konzerte wirklich ebenfalls Preistraegern ueberlassen werden darf. Den meisten der Dirigenten fehlte die Erfahrung, anderen auch schlicht die Kompetenz, die fuer eine solche Aufgabe unabdingbar waere.

An ereignishaftem Glanz gebrach es freilich nicht. Manche Namen fand Aufnahme in die Notebooks der Agenten und Veranstalter, so die beiden Schweizer Pianisten Mischa und Sascha Manz, die das dankbare Doppelkonzert von Poulenc geschickt ueber die Rampe brachten, genauso wie der hollaendische Posaunist Joergen van Rijen das ebenso eingaengige Konzert von Nino Rota oder der biegsame Sopran der Norwegerin Marita Kvarving Solberg in Arien von Gounod bis Verdi. Ihre ukrainische Kollegin Nataliya Kovalyova riss das sonst eher sproede Publikum mit Arien der Susanne, der Marguerite und der Lauretta in einen Begeisterungstaumel, der es ueberhoeren liess, dass in Verdis Prunkarie der Violetta aus der Traviata Grenzen aufschienen, die erkennen liessen, dass sie noch nicht ganz die Primadonna assoluta ist, zu der auch die Fachleute sie unverzueglich erklaerten.

Nicht ganz gerecht wurde das Publikum, wohl an pastosere Kost grosser Namen gewoehnt, der Preistraegerin des Reine-Elisabeth-Wettbewerbs 2001 Baiba Skride. Ihre Interpretation von Vivaldis so oft zum Showpiece verkommenen "Quattro Stagioni" war von einer intelligenten Sensibilitaet, einer auch die kleinsten Ornamente belebenden Differenzierungsfaehigkeit, die lange nachklingt und, so ist zu hoffen, sich als eine eigene Stimme in dem Solistenrummel zu behaupten weiss.

Der Hoehepunkt, von Kennern und Liebhabern gleichermassen stuermisch gefeiert, war die Interpretation von Sergej Prokofjews riesigem Opus ultimum, der Sinfonia concertante fuer Cello und Orchester. Sol Gabetta, die in Basel bei Ivan Monighetti ausgebildete blutjunge Preistraegerin des "Credit Suisse Group Young Artist Award 2001", erfuellte die bis an die aeussersten kuenstlerischen und instrumentalen Grenzen gehenden "Lieder und Taenze zum Tode" mit einer Souveraenitaet und Weisheit, die, trotz Rostropowitsch, wie eine Urauffuehrung, jedenfalls eine Wiederentdeckung eines der Meisterwerke des letzten Jahrhunderts anmutete.

Solche Ereignisse allein rechtfertigen das Olympus-Unternehmen: Der Gewinn eines Wettbewerbs ist an sich bedeutungslos geworden. Wichtig ist, was nachher geschieht. Dass es fuer viele ein "Nachher" gibt, ist dem Petersburger Festival und seiner unerschrockenen Intendantin Irina Nikitina zu danken.

Author: Urs Frauchiger   Edition: Basler Zeitung   Date: 12.06.2002